📘 Ein alter Rucksack im Wald. Ein Notizbuch aus dem Jahr 1970. Skizzen eines Hauses, einer Weide – und zwei Worte, die wie eine Schwelle wirken: Halle 1.
John und Kate folgen der Spur in ein verschwundenes Dorf, in ein Bauernhaus voller Echos – und mitten hinein in ein Netz aus Ritualen, das der Orden seit Jahrzehnten knüpft. Vollmond, Dreiergruppen, Blut im Kreis: Die Vergangenheit hört nicht auf, wenn niemand hinsieht.
Das Muster – Der Rucksack führt die Fäden von Halle 1 und Der Orden zusammen und öffnet eine neue, dunkle Tür – ohne zu versprechen, was dahinter wartet. Nur so viel: Manche Wege lassen sich finden. Aus manchen wird man gefunden.


Kapitel 1 – Der Fund
Der Morgen war kühl und feucht, der Boden weich unter Johns Laufschuhen. Er liebte diese einsamen Runden im Wald; sie hielten den Kopf frei. Dann bremste ihn etwas jäh aus. Zwischen den Wurzeln einer knorrigen Buche, halb unter Laub verborgen, ragte ein Lederriemen hervor.
John kniete sich hin, schob Erde zur Seite und zog mit einem Ruck einen alten Rucksack hervor. Das Material war brüchig, die Schnallen verrostet. Jemand hatte ihn hier versteckt – und vergessen.
Innen lag ein Notizbuch, Einband fleckig und brüchig. John schlug es auf. Auf der ersten Seite stand, in hastiger, dunkler Schrift: „1970 – Halle 1.“ Darunter Zahlenkolonnen, Skizzen eines Hauses und eines knorrigen Baums, kryptische Anmerkungen.
Halle 1. Ein Gerücht, ein Schatten – jetzt ein Fund in seinen Händen.
Er sah sich um, als könne jemand aus den Bäumen treten, um das Buch zurückzufordern. Der Wald schwieg. John steckte alles ein. Er wusste, wen er anrufen musste: Kate.


Kapitel 2 – Das Notizbuch
Eine Stunde später lag der Rucksack auf Johns Tisch. Kates Haare steckten hastig im Zopf, Skepsis in den Augen, als sie blätterte.
„1970. Halle 1“, sagte sie leise. „Das hier sind keine Tagebuchschnipsel. Das ist geführt wie ein Protokoll.“
„Oder wie ein Ritualplan“, murmelte John.
Skizzen, Symbole, Pfeile zwischen Orten. Ein Haus. Eine Weide. Ein Dorf. Immer wieder tauchte die „1“ auf, eingerahmt, unterstrichen, als warnte jemand vor der Schwelle.
Kate schloss das Buch. „Wenn das stimmt, sitzen wir am Anfang einer alten Geschichte.“
John nickte. „Und am Anfang von etwas, das uns meint.“


Kapitel 3 – Spuren im Wald
Am Fundort legten sie behutsam den Waldboden frei. Johns Spaten stieß auf Metall: eine verrostete Plakette, eine halb verwischte „7“. Eine alte Glasflasche mit eingetrockneter dunkler Flüssigkeit. Keine zufälligen Funde.
An der Rinde der Buche: eine eingeritzte „1“, tief genug, um Jahrzehnte zu überdauern.
„Markierungspunkt“, sagte John. „Der Rucksack, die Plakette, die ‚1‘. Jemand hat den Pfad gelegt.“
Kate lauschte in den Wald. Für einen Moment klang das Windrauschen wie ein fernes Murmeln. Sie schüttelte es ab – und wusste doch, dass etwas sie beobachtete.


Kapitel 4 – Das verschwundene Dorf
Der Pfad führte sie zu Ruinen: eingestürzte Dächer, Schornsteine, verwitterte Wände. An einer Hauswand hielten sich verblasste Kreidezeichen: Kreise, Striche, Zahlen – Zwillinge der Skizzen im Notizbuch.
In einer Hütte lag eine Zeitung von 1970: „Plötzliche Evakuierung“ – ohne Grund.
Am Brunnen war ein Wort in Stein geschnitten: MUSTER.
„Sie kannten es“, sagte Kate. „Sie haben ihm einen Namen gegeben.“
Hinter den Häusern ragte eine einsame Weide auf. John spürte, dass der Ort nicht zufällig war. Eher ein Knoten.


Kapitel 5 – Stimmen im Archiv
Im Stadtarchiv erkämpfte Kate Zugang zu gesperrten Ordnern. Auf einem Evakuierungsprotokoll stand handschriftlich: „Verbindung zu H.1. – sofort versiegeln.“
Personenlisten trugen Randzeichen, manche Namen waren durchgestrichen. Ein Schatten strich zwischen den Regalen. Keiner war da. Und doch hörten sie ein Flüstern:
„Nicht öffnen … nicht wieder öffnen …“
In einer Mappe lag eine Karte: eine Linie vom Dorf zum Bauernhaus – und ein markierter Punkt tief im Wald. Kein Name, nur ein Kreis mit Strich.
„Unser nächster Schritt“, sagte John. Kate nickte, ohne den Blick von der Dunkelheit zu lösen.


Kapitel 6 – Der Schatten im Haus
Das Bauernhaus stand, als hätte die Zeit es vergessen. Drinnen roch es nach Moder und Metall. An der Wand klebten verblasste Fotos: ein Mann mit dunklem Haar, eine Frau mit müden Augen. Tom und Lucy.
„Sie sind es“, flüsterte Kate. „Die aus Halle 1.“
In einer Ecke verdichtete sich der Schatten. Zwei Gestalten, flackernd wie Spiegelungen. John sah leere Augen, stumme Münder. Tom. Lucy. Nicht lebendig – ein Echo.
Das Wispern spaltete sich: Für John: „Komm tiefer…“ Für Kate: „Lauf…“
Die Fotos lösten sich und segelten zu Boden, als hätte ein unsichtbarer Atem sie berührt. John spürte, dass das Haus die Vergangenheit nicht losließ – und die Gegenwart anlockte.


Kapitel 7 – Verbindung
Sie stolperten ins Freie. Kate zitterte. „Wenn wir Halle 1 öffnen, enden wir wie sie.“
John blätterte im Notizbuch, verglich Skizzen und Karte. „Es ist ein Plan. Haus, Weide, Dorf, Halle. Verknüpfungen. Keine zufälligen Wunden, sondern Nähte.“
„Nein“, sagte Kate hart. „Wir öffnen Halle 1 nicht.“
John steckte das Buch weg. „Vielleicht hast du recht.“ Dann, leiser: „Aber das Muster wartet nicht.“
Im Fenster meinte Kate die Schatten von Tom und Lucy zu sehen. Ein Blinzeln – leerer Rahmen. Warnung genug.


Kapitel 8 – Der Kreis
Auf dem Waldboden lagen Wachsreste. Eine feine Spur, frisch. Sie führte zurück ins Haus, über knarrende Dielen, zu einer halb verbarrikadierten Tür. Dahinter Stufen in den Keller.
Der Raum roch nach kaltem Rauch. An Eisenhaken erstarrte Wachs wie Tränen. In der Mitte: ein schwarz verrußter Kreis, darin Symbole aus dem Notizbuch. Asche frisch, nicht alt.
Für einen Atemzug flackerte unsichtbares Licht: Schatten standen im Kreis, die Wände atmeten. Ein Chor hob an: „Halle… Halle…“
„Wir dürfen das nicht öffnen!“, rief Kate, riss John weg. Das Wispern erstarb. Nur die Asche blieb – und das Wissen, dass sie gesehen worden waren.


Kapitel 9 – Blut im Mondlicht
Hinter einer losen Steinplatte lag eine hastig versteckte Mappe. Auf der ersten Seite: „Vollmond, 1970 – drei Gefäße geopfert. Das Muster verlangt Ausgleich.“
Weitere Blätter – frischer: ein jüngerer Vollmond. Drei Namen.
Jason. Mia. Nicole.
„Der Orden“, sagte Kate. „Ihre Handschrift. Dreiergruppen. Mondzyklen.“
Zeichen glommen an der Wand auf, als würden unsichtbare Finger schreiben: ein Kreis mit Kreuz – und drei kurze Striche darunter.
„Zyklisch“, flüsterte John. „Sie speisen es immer wieder. Und wir stehen in der Kette.“


Kapitel 10 – Der Ruf des Ordens
Zwischen den Bäumen zog eine Prozession: sechs Kapuzen, Laternen mit rötlichem Schein. Am Rand einer Lichtung stand ein Stein, frisch eingeritzt: ein neues Symbol – ein Kreis, darin ein Schmetterling aus zwei spiegelnden Dreiecken.
„Es geht tiefer“, murmelte John. „Weiter als Halle 1.“
Die Ordensmitglieder stellten Laternen um den Stein, sangen Worte, die im Schädel vibrierten. Für einen Moment schien der Schmetterling im Stein zu schlagen – als ob Stein leben könne.
Hinter John knackte ein Ast. Ein Schatten, nicht ganz menschlich, zog sich in die Bäume zurück. Das Muster selbst hatte Fährte aufgenommen.


Kapitel 11 – Der Schwur
Sie rannten. Der Wald wurde enger, die Stimmen näher. „Wir kommen hier nicht raus!“, rief Kate.
„Doch“, keuchte John. „Wir sind nicht Tom und Lucy. Nicht Jason, Mia, Nicole. Wir kämpfen.“
„Das Muster lässt niemanden los.“
„Dann schwören wir.“
Die Gesänge hinter ihnen verdichteten sich, Laternen glühten zwischen den Stämmen. Eine Lichtung mit verbranntem Gras: der Ort des letzten Opfers.
„Dann laufen wir schneller“, sagte John – und zog Kate weiter. Hoffnung war plötzlich nur noch ein anderer Name für den nächsten Schritt.


Kapitel 12 – Im Schatten des Musters
Hände griffen nach ihnen, Schatten stülpten sich über Wege. Vor ihnen klaffte ein schmaler Felsspalt. John deutete. „Einziger Weg!“
Ein Ordensmitglied packte Kates Arm. John schlug, traf Stoff, Leere – der Griff löste sich. Sie stürzten in den Spalt, rutschten schmerzhaft hinab. Schreie hinter ihnen, dann gedämpfte Stille, als hätte der Wald eine Grenze gezogen.
Sie brachen auf einer Lichtung nahe den Dorfruinen aus. Keuchend, blutverschmiert, lebendig.
„Wir leben“, lachte John heiser. Kate weinte stumm. „Warum hat es uns gehen lassen?“
John hob das zerbeulte Notizbuch. „Vielleicht war es nicht unser Ritual. Noch nicht.“
Der Mond trat aus den Wolken. Sie saßen, bis die Kälte ihnen in die Knochen kroch. Entkommen – knapp. Gezeichnet – sicher. Markiert – ohne Zweifel.


Ende.