Das Muster 3.3.6

📘 Band 3 – Das Muster: Joy 3.3.6
Ein Umschlag. Drei Ziffern. 3.3.6.
Was wie eine belanglose Zahl wirkt, verfolgt Joy in ihrem Alltag – auf Schildern, in Nachrichten, auf einer vergessenen Postkarte. Als sie der Spur folgt, führt sie der Weg in eine verlassene Halle an einem abgelegenen Hafen.
Dort wartet nicht nur die Wahrheit über 3.3.6, sondern auch John – ein Mann, der mehr über Joys Vergangenheit weiß, als sie selbst. Und Marie, deren Auftauchen alte Fäden zu einem Muster verknüpft, das nie hätte entwirrt werden sollen.
Zwischen vergilbten Akten und längst verdrängten Erinnerungen muss Joy entscheiden: Will sie wissen, wer sie war – oder wer sie hätte sein können?
Kapitel 1 – Die Begegnung
Der Sommer hing warm über dem Park, als hätte jemand die Zeit gedimmt und die Geräusche weichgestellt. Joy saß auf ihrer Stammbank unter der alten Trauerweide. Die langen Zweige fielen wie grüne Vorhänge herab, und immer wenn der Wind kam, raschelten sie wie etwas, das atmet.
Sie fuhr mit dem Daumen über die Holzlehne, über Kerben, die jemand vor Jahren hineingeschnitten hatte, und dachte an nichts Konkretes – bis ein Schatten neben ihr stehen blieb. Ein Mann setzte sich, ohne zu fragen, mit der ruhigen Selbstverständlichkeit eines Stammgasts. Weiße Haare, klarblaue Augen, schwarzer Hoody, der trotz der Wärme nicht fehl am Platz wirkte, eher wie ein Statement: Ich bleibe, was ich bin.
„Nick?“ entfuhr es Joy, ohne zu wissen, woher der Name kam. Er hob den Kopf, als würde er prüfen, ob der Augenblick stabil genug für eine Antwort war.
„Kennen Sie die Zahl 3.3.6?“ Seine Stimme war ruhig. Kein Smalltalk, kein Anlauf. Ein Schlüsselwort, direkt ins Schloss.
Joy brauchte eine Sekunde. „Nein. Warum fragen Sie?
Nick griff in die Tasche seines Hoodies und holte einen grauen Umschlag hervor. Das Papier war nicht neu, nicht alt, sondern von der Art, die sich jeden Fingerabdruck merkt. Er reichte ihn ihr, und in dem Moment, in dem Joy die Kante berührte, riss etwas in ihr kurz auf: ein blinder Blitz im Kopf, ein Bild ohne Kontext, nur drei Zeichen wie aufleuchtende Ziffern hinter geschlossenen Lidern – 3.3.6.
Der Park war derselbe, die Luft war dieselbe, aber die Welt hatte einen halben Millimeter verrückt. Joys Nacken wurde kalt. „Ich werde jetzt gehen“, sagte sie. Kein Affekt in der Stimme, nur die Entscheidung eines Menschen, der spürt, dass etwas ihn anblickt.
Nick nickte, ohne aufzustehen. „Vergessen Sie den Umschlag nicht“, flüsterte er, und es klang nicht wie ein Hinweis, sondern wie ein Befehl, der einmal schon gegeben worden war.
Joys Finger schlossen sich fest um den grauen Umschlag. Als sie den Weg unter den wehenden Zweigen hindurchging, strich die Weide ihr leicht über die Schulter – wie eine Berührung, die prüft, ob man wiederkommt.
Kapitel 2 – Der Umschlag
Die Stadt vibrierte in den üblichen Tönen des späten Nachmittags, aber Joy hörte nur das Rascheln des Umschlags an ihrem Oberschenkel. Vor ihrer grünen Haustür – der Farbton zwischen Moos und Flasche – traf sie John, der gerade seinen Briefkasten leerte.
„Passen Sie gut auf sich auf, Joy. Nicht alles ist Zufall“, sagte er, als hätte er lediglich das Wetter kommentiert.
Joy nickte, entriegelte die Tür und stieg die Stufen hinauf. In der Wohnung legte sie Schlüssel und Telefon ab, wusch sich die Hände, als müsste sie eine Idee abspülen, die an ihr klebte. Dann setzte sie sich an den Küchentisch, legte den Umschlag in die Mitte, atmete einmal tief ein und wieder aus. Mehr Zögern gab sie sich nicht.
Das Papier ließ sich leicht öffnen. Drinnen lag ein einzelnes Blatt. Kein Absender, keine Initialen, nur ein Satz, sauber getippt, mittig:
Die Zahl, die du vergessen hast, wird dich wiederfinden.
Joy hielt das Blatt zwischen den Fingern. 3.3.6. Kein Datum, keine Uhrzeit, keine Hausnummer. Und doch fühlte es sich nicht fremd an.
Kapitel 3 – Flüstern im Alltag
Am nächsten Morgen goss Joy drei Löffel Zucker in ihren Kaffee. Erst danach bemerkte sie: Drei Löffel, Löffelgriff gerissen wie eine 3, und auf der Packung die Ziffer 6. Zufall.
Auf dem Heimweg entdeckte sie ein altes Garagentor – verblasst stand dort 336. In der Mittagspause bekam sie eine Paketbenachrichtigung mit Sendungsnummer 336–…
Am Abend zog es sie zurück zur Weide. Die Blätter rauschten im Rhythmus: drei kurz, drei lang, sechs kurz. Dann stand John dort. „Die Zahl wird nicht warten, Joy.“
Kapitel 4 – Alte Spuren
Im Regen begegnet sie John im Park. Er erzählt von einem alten Archiv, in dem er vor Jahren einen Ordner sah – grau, beschriftet mit 3.3.6. Damals nur ein Aktenzeichen. Heute der Grund, warum sie hier sind.
Kapitel 5 – Die Postkarte
Ein Umschlag ohne Absender. Drinnen: eine vergilbte Postkarte mit einem Hafenmotiv. Rückseite: „Erinnerst du dich an den Hafen? – J.“ Darunter, kaum sichtbar: 3.3.6.
John rät ihr, die „Rückseite der Rückseite“ anzusehen. Unter einer Papierschicht findet Joy ein Foto – ein Mann im Profil, vor grauen Ordnern. Auf einem Rücken: 3.3.6.
Kapitel 6 – Der Hafen
Joy identifiziert den Hafen als Brevig. Auf einem Foto erkennt sie an einer Lagerhalle den Schriftzug Halle 336. Kurz darauf findet sie eine alte Fährkarte „Brevig – Süd“.
John sagt nur: „Ein Ort, an dem Akten nicht verstauben – sondern warten. Und du warst dort. Du erinnerst dich nur nicht.“
Kapitel 7 – Flackern
Ein Geruch, ein Bild – und Joy ist plötzlich wieder in Brevig. Sie sieht den Hafen, einen Mann mit einer Kiste 3.3.6, und die offene Halle voller Ordner.
Zurück in ihrer Küche steht John in der Tür und gibt ihr einen alten Schlüssel. Eingestanzt: 3.3.6.
Kapitel 8 – Rückweg
John und Joy fahren gemeinsam nach Brevig. Am Bahnhof ist der Leuchtturm schon zu sehen. John sagt: „Zehn Minuten zu Fuß – dann stehen wir vor der Halle.“
Kapitel 10 – Der Code
Marie zeigt den Ordner 3.3.6. Darin ein Foto von Joy als Teenager – neben ihr John.
3.3.6 war das Aktenzeichen einer Operation, bei der Joy Zeugin wurde. Um sie zu schützen, wurde ihre Erinnerung verändert.
„Jetzt“, sagt Marie, „ist es wieder in Bewegung.“
Kapitel 11 – Entscheidung
Am Morgen steht Joy allein am Hafen. John bringt ihr den Ordner. Sie liest, erkennt Johns Handschrift: „Zeugin unter Schutz gestellt – Erinnerung modifiziert.“
Sie schließt den Ordner, wirft den Schlüssel ins Meer. „Ich habe genug gesehen.“
Gemeinsam gehen sie zurück in die Stadt. Die Trauerweide steht still im Wind.